Kommentar von Autorin Nadine Primo
Die letzten Wochen waren wild. Die Enthüllungen der Correctiv-Recherchen haben dazu geführt, dass ein Linksruck durch das Land geht, um dem Rechtsruck auf politischer Ebene Einhalt zu gebieten. Das Volk erhebt sich: Menschen solidarisieren sich mit ihren Mitmenschen, die sich ein weiteres Mal bedroht fühlen müssen. Ein weiteres Mal, zumal die deutsche Gesellschaft in den vergangenen Jahren nicht gerade durch ihren Antirassismus glänzte. Während der Verfassungsschutz sich auf Linksextremisten eingeschossen hat, verschwinden in regelmäßigen Abständen aussagekräftige Beweise und Dokumente zulasten rechtsextremer Verfassungsfeinde. Kontakte in dieses Milieu streiten Politiker:innen vehement ab und machen sich nicht einmal die Mühe sich zu rechtfertigen. Ein Einfaches „Ich kann mich nicht erinnern“ muss reichen.
Aber es geht auch noch offensichtlicher – und peinlicher. Wenn jemand nicht davor zurückschreckt, sich anzubiedern, dann ist es Christian Lindner. Anders kann ich den Totalausfall des FDP-Politikers bei den Bauernprotesten in Berlin nicht verstehen. Da steht der Finanzminister, der einer der Hauptverantwortlichen für die Streichung der Agrarsubventionen ist, vor rund 10.000 wütenden Menschen und erklärt die „Klimaterroristen“ sowie Arbeitslose zum Staatsfeind Nummer 1. Während gleichzeitig die zum Teil unterwanderten Bauernproteste fröhlich rechte Rhetorik und Narrative verbal und visuell reproduzieren.
Es ist noch nicht einmal Frühjahr und ich war bereits auf sieben (Groß-)Demonstrationen. Die seit Jahren in Deutschland herrschende Unzufriedenheit ist nicht mehr wegzudiskutieren. Die Pandemie hat die Gesellschaft gespalten. Danach haben der Krieg in der Ukraine sowie die folgende Inflation und Energiekrise die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander gehen lassen und das Leben vieler Menschen existenziell erschüttert. Ein gefundenes Fressen für Politiker:innen mit extremen Meinungen und wirkungsvoller Promo. „Noch Promo oder bereits Propaganda?“, das scheint für einige nicht mehr wirklich ersichtlich zu sein. Anders kann ich mir die Zusammensetzung der AfD-Wählerschaft nicht erklären. Menschen, die mit als erstes unter der blauen Politik leiden würden, sind die, die in der ersten Reihe stehen und vom links-grün versifften Fascho-Regime sprechen, das von ihren blauen Helden besiegt werden müsse.
Dass die AfD weder besonders frauen-, queer- oder behindertenfreundlich ist, ist kein Geheimnis. In ihrem Wahlprogramm sprechen sie sich offen gegen Abtreibung und für ein traditionelles Familienbild aus. Ebenso propagieren sie die Abschaffung des Gleichstellungsgesetzes. Die Aussage eines AfD-Politikers, behinderte Kinder vom regulären Schulbetrieb ausschließen zu wollen, ist ebenso faschistisch und moralisch minderwertig, wie die Deportations- und Arbeitslagerfantasien des AfD-Nachwuchses.
Sie machen es geschickt, wenn sie sich an besonders krisengebeutelte Gesellschaftsschichten richten. Es scheint, dass hier der Antrieb, Dinge zu hinterfragen, abhandengekommen ist – und das würde ich den Menschen nicht einmal vorwerfen. Aus Verzweiflung entstehen Frust und Wut, weswegen viele rebellieren. Warum sonst rechtfertigen einige Menschen ihre Sympathie für die AfD damit, dass „man es der Ampel einfach mal heimzahlen müsse“. Rache ist weder in der Liebe noch in der Politik eine gute Lösung und führt am Ende lediglich in (ungeahnte) Katastrophen.
Alice Weidel spaziert auf den Bauernprotesten wie ein Filmstar durch die Menge. Sie lässt sich von Menschen beglückwünschen, die scheinbar nicht einmal auf dem Schirm haben, dass die AfD so gar nichts für sie übrig hat – vor allem keine Subventionen. Diese sind im Wahlprogramm der angeblich parteipolitischen deutschen Alternative nicht vorhanden. Das Gleiche gilt für Steuersenkungen, die, wenn überhaupt, die Reichen betreffen. So hofiert die AfD diejenigen, die bereits viel Geld haben, um sich deren Macht – denn Geld ist Macht – zu eigen zu machen. Geringverdiener werden zu Geringerverdienern, wenn man so will, und ich bin mir sicher, dass das ganz bestimmt nicht im Sinne der potenziellen Wählerschaft ist. Aber gut: Wer nicht hören kann, muss fühlen, allerdings ist das in politischen Kontexten, wo Entscheidungen von Millionen Menschen ausgebadet werden müssen, keine lehrreiche Lektion, sondern brandgefährlich.
Es gibt andere Parteien, die sich bemühen, innenpolitische und soziale Probleme in den Griff zu kriegen, ohne dabei auf Feindbilder zurückzugreifen oder grausige Praktiken aus der dunklen deutschen Vergangenheit erneut auf die Agenda zu packen. Die Parteien müssen Themen wie Umverteilung ernsthafter adressieren. So wird gerade in Deutschland der Großteil des Vermögens nach wie vor vererbt und ist dem freien Markt nicht zugänglich. In Ostdeutschland, den neuen Bundesländern, sowieso nicht, denn wer reich ist, kommt aus dem und lebt mit höherer Wahrscheinlichkeit im Westen. Die Mauer, es gibt sie noch, vor allem wenn es um Vermögen und Besitz geht.
Das alles macht mir Bauchschmerzen. Das alles lässt mich wenig hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Ich frage mich, was wir als Gesellschaft tun können, um wieder zueinanderzufinden und zu verstehen, dass wir alle am Ende mehr gemeinsam haben als uns trennt. Ich habe die letzten Tage damit verbracht auf TikTok mit AfD-Ultras zu diskutieren: Ich habe mir ihren Hass und ihre Hetze gegeben und auch Drohungen gegen meine Person sowie den „links-grün versifften Haufen“ trudelten massenweise ein.
Das macht mir Angst, nicht, weil ich mich unmittelbar bedroht fühle, sondern weil es zeigt, wie viel Frust, Wut und Unmenschlichkeit mittlerweile bei einem nicht gerade überschaubaren Teil der Bevölkerung dominieren – wie ein Blick auf die Wahlprognosen der letzten Monate belegt.
Wenn es mehr Feindbilder als Freundbilder gibt, dann haben wir ein Problem und mit „wir“ meine ich uns als Gesellschaft, denn wir können nur gemeinsam funktionieren und friedlich koexistieren. Nicht alle AfD-Wähler sind das personifizierte Böse. Wir müssen darauf achten, selbst nicht zu dem zu werden, was wir vermeintlich bekämpfen wollen.
Gegen einen Björn Höcke hingegen sind alle Mittel innerhalb der Demokratie und des Rechtsstaates erlaubt, um Faschisten wie ihn davon abzuhalten, an die Macht zu kommen. Frei nach dem Toleranz Paradoxon von Karl Popper, die Grenze verläuft dort, wo Faschisten unsere Demokratie beschädigen und beseitigen wollen. Es gilt diese Kräfte zu stoppen:
Der Rest ist Demokratie.